Stader Tageblatt: Sport in der Krise – Sportler schreiben Tageblatt

Stader Tageblatt: Sport in der Krise – Sportler schreiben Tageblatt
25. Mai 2020

Stader Tageblatt: Sport in der Krise: „So langsam wird das monoton“

Sportler schreiben Tagebuch. Der Sport- und Trainingsbetrieb ruht. Die Hallen und Sportplätze sind geschlossen. Wie erleben Sportler, Trainer und Vereinsfunktionäre diese Zeit?

Das TAGEBLATT hat den Trainer Björn Stobbe vom Fußball-Bezirksligisten TSV Apensen, den Turner Janik de Brabandt vom TuS Jork und den Vorsitzenden Sascha Stange vom Dollerner SC gebeten, Krisen-Tagebuch zu führen.

März

19. März

Stobbe: Eine Woche ist es her, die letzte Trainingseinheit vor dem Spitzenspiel gegen den ASC. Niemand hätte bei der Abschlussbesprechung gedacht, dass wir uns lange nicht mehr sehen werden.

de Brabandt: Es fühlt sich an wie Ferien: Fahrradtour, Friseur, joggen. Danach Krafttraining, Klimmzüge, Liegestütze, Dehnen. Mein Trainer möchte, dass wir den Spagat üben.

Stobbe, de Brabandt und Stange schicken ihre Tagebuch-Einträge per Mail oder Whatsapp, aber nur dann, wenn sie meinen, es sei berichtenswert. Das Ende wird offen gehalten.

20. März

Stobbe: Die Spieler absolvieren Ausdauerläufe. Die Daten werden per App an mich übermittelt und ausgewertet. Doch einige Spieler scheinen Probleme bei der Übertragung zu haben. Auch ich bin am Abend laufen gegangen und bin froh, meine Daten niemandem übermitteln zu müssen.

de Brabandt: Der Tag beginnt mit einem Spaziergang mit meiner Mutter durch den Wald. Dafür hatten wir lange keine Zeit mehr. Am Abend arbeite ich trotz Problemen beim Aufwärmen am Spagat und der Dehnung, und vor dem Fernseher trainiere ich den Schweizer Handstand, der einzige Ort im Haus mit ausreichend Platz.

21. März

Stobbe: Anekdote aus dem Alltag eines Bezirksliga-Trainers: „Coachi, kann ich statt den Ausdauerläufen auch Stabi- bzw. Kraftausdauertraining machen? Ausdauerläufe bringen mir nichts, da im Spiel eine andere Ausdauer gefordert ist“, schreibt mir ein Spieler. Das ist mal eine Ansage! Der Spieler lief aber zwei Tage später den geforderten Umfang.

de Brabandt: Ich mache eine Fahrradtour zu meiner Freundin. Mit ihren Eltern arbeiten wir im Garten – mein körperlicher Ausgleich. Dennoch merke ich, dass mir das reguläre Programm fehlt.

Stange: Eigentlich sollte in Dollern die Dorfreinigung stattfinden, an der sich viele Kinder aus dem Verein beteiligen. Dieses Jahr fällt sie leider aus. Schade. Eine gute Aktion, sich als Verein im Dorf zu engagieren.

Sascha Stange (41) ist Vorsitzender des Dollerner SC, ein Sportverein mit knapp 500 Mitgliedern. Außerdem ist er Handball-Trainer, -Schiedsrichter, Spieler der zweiten Mannschaft und Ü40-Fußballer. Stange arbeitet im Energiedaten-Management in Hamburg.

22. März

Stobbe: Am Mittag ein Telefonat mit einem möglichen Neuzugang.

de Brabandt: Mit dem Fahrrad geht es zurück nach Hause. Es macht mich glücklich, mit dem Rennrad zu fahren – ein Erbstück meines Opas, bedeutet mir viel. Um in der Routine zu bleiben, mache ich freiwillig ein paar Mathe-Aufgaben.

Stange: Zweites Wochenende ohne Sport im Verein. Sonntags treffen wir uns gerne in der Halle oder auf dem Sportplatz zum Plausch zwischen Kaffee, Bratwurst und Bier. Bei den Handballspielen der Kinder treffen sich die alten Haudegen, die selbst gegeneinander gespielt haben und nun ihre Kinder unterstützen. Es ist familiär. Zum Glück stehen die Ferien vor der Tür, da ist eh kein Spielbetrieb.

23. März

de Brabandt: Nachdem ich das Klettergerüst im Garten abgerissen habe, gehe ich meine übliche Strecke joggen. So langsam wird das monoton.

Stange: Die zweite Woche im Homeoffice beginnt. Ich bin froh, derzeit nicht jeden Tag nach Hamburg fahren zu müssen. Das eine oder andere Flurgespräch mit den Kollegen fehlt dennoch.

24. März

Stobbe: Alle Spieler erreichen – bis auf Ausnahmen – das Laufpensum, übertreffen es teilweise sogar. Wir steigern das Training ein wenig. Was fehlt, ist der Ball.

25. März

Stobbe: Der Ball rollt – zumindest zu Hause. Meine Töchter spielen im heimischen Garten und auf dem grünen Spielfeld beim Tipp-Kick.

Stange: Das Vereinsleben steht fast still. Alle Absprachen werden per Mail oder Messanger geregelt, so auch die Amtsübergabe durch den Geschäftsführer-Wechsel. Niemand weiß, wie es mit dem Mannschaftssport weitergeht. In dieser Ausnahmesituation können wir unseren Trainern und Betreuern auch keine monatliche Vergütung zahlen, was auf absolutes Verständnis trifft. Auch unsere Mitglieder haben Verständnis für die Situation.

26. März

Stobbe: Normalerweise stünden jetzt Training und Abschlussbesprechung an. Stattdessen konferiere ich mit dem 2. Vorsitzenden und dem Teammanager.

27. März

Stobbe: Laptop-Trainer. Dieses Wort bekommt eine ganz neue Bedeutung, denn Social Media sind zurzeit nicht wegzudenken. Individuelles Training zu Hause, Taktikanalysen, Lauf-Apps. Die Vielfalt im Netz ist riesig.

Stange: Mein letzter Arbeitstag vor dem Urlaub. Doch was soll man sich vornehmen? Keine Reise, keine Ausflüge, stattdessen Gartenarbeiten, Frühjahrsputz. Auf Vereinsebene ist es ruhig. Wir haben Zeit, anstehende Aufgaben wie das Sommerfest zu planen.

28. März

Stobbe: Tolles Wetter! Die Spieler sind motiviert, die Ausdauerläufe und Workouts auszudehnen. Das freut den Trainer.

de Brabandt: Nach einer Erkältung genieße ich das Wetter und mache am Abend ein anstrengendes Workout, das die Kraftausdauer fordert. Es gilt als Turnerkrankheit, dass wir keine gute Kraftausdauer haben. Danach dehnen.

29. März

Stobbe: Heute wäre der 22. SpieltagEigentlich. Ein Spieler fragt: „Coachi, wann sehen wir eigentlich mal die Screenshots von deinen gelaufenen Runden…?“ Ich habe wieder angefangen, locker zu laufen. Sollte sich mein Ehrgeiz durchsetzen, werde ich irgendwann meine Runden öffentlich machen.

de Brabandt: Ich streiche mit meinen Eltern die Küche. Am Abend folgen Workouts, danach das Dehnen, wobei endlich ein Fortschritt erkennbar ist. Wenn das alles vorbei ist, komme ich bestimmt in den Spagat.

Stange: Wir suchen im Verein eine neue Struktur für unsere interne Kommunikation, um ohne persönlichen Kontakt die Geschäfte am Laufen zu halten. Eine Maßnahme ist eine Art digitale Bibliothek, über die wir zum Beispiel Formulare und Protokolle abrufen können.

Björn Stobbe (45) trainiert nach den Stationen Hedendorf, Harsefeld und Estebrügge seit zwei Jahren den TSV Apensen. Als Spieler lief er bisher immer für seinen „Herzensverein“ auf, die VSV Hedendorf/Neukloster. Beruflich ist Stobbe im Außendienst bei Eisen Trabandt tätig.

30. März

Stobbe: Tabellenstände? Die Infizierungstabelle ist derzeit das Maß aller Meldungen. Wir gehen in die dritte Woche ohne Training und Spiel. Und ich vermisse meine sozialen Kontakte – nicht nur beim Fußball.

31. März

Stobbe: Es ist offiziell: Die 1. und 2. Liga wird bis Ende April ausgesetzt. Was bedeutet das für unseren geliebten Amateurfußball? Spiele ohne Edelfans? Keine Umarmung beim Torjubel? Fragen über Fragen.

de Brabandt: Es ist immer wieder schön, auf die ordentlichen Beete im Garten zu schauen und zu sehen, was man geschafft hat.

April

1. April

Stobbe: „Coachi, ab jetzt wird nur noch gelaufen. Training machst du im Homeoffice via App. Gespielt wird nicht mehr, wir bleiben trotzdem Zweiter der Tabelle. Deine Kinder müssen nicht mehr zur Schule. Du erledigst deine Arbeit als Außendienstmitarbeiter ebenfalls im Homeoffice. Deine Frau geht nicht mehr zum Friseur oder zum Shoppen…“ Kein Aprilscherz.

de Brabandt: Wir waren mit unserem Kater beim Tierarzt. Mittags habe ich mit meiner Freundin Rinde im Wald gesammelt zum Basteln.

2. April

Stobbe: Der Markt wird weiter beobachtet, Gespräche mit potenziellen Neuzugängen geführt. Uns ist es auch gelungen, drei Neue für die kommende Saison von uns zu überzeugen!

de Brabandt: Die Menschen verhalten sich inzwischen verantwortungsbewusster beim Einkaufen, bezogen auf das Hamstern. Ich finde wieder mehr von dem im Regal, was auf meiner Einkaufsliste steht. Das Joggen wird langweilig, ich fahre nun längere Strecken mit dem Rad.

3. April

Stobbe: Der Spielbetrieb wird bis auf Weiteres ausgesetzt. Wie es terminlich weitergeht, weiß niemand. Spekulieren ist nicht mein Ding, daher warte ich ab und halte meine Jungs bei Laune.

4. April

Stobbe: Fitnessdaten auswerten, Telefonate führen, Fachbücher lesen – Homeoffice-Coaching.

de Brabandt: Beim Joggen merke ich, dass die Ausdauer besser wird, aber mit jeder Runde sinkt die Motivation, so wie bei meinen Mannschaftskollegen. Wir wollen wieder an die Geräte und turnen!

5. April

Stobbe: Heute, Heimspiel gegen Eintracht Cuxhaven – abgesetzt. Dank eigenem Garten bin ich nicht ganz alternativlos.

Stange: Die Woche Urlaub geht zu Ende. Wir haben die Zeit zu Hause zum Ausmisten und Frühjahrsputz genutzt. Nicht ganz einfach war es für unseren Sohn. Er hatte Geburtstag und konnte nur mit uns Eltern feiern.

6. April

Stobbe: Woche vier. Arbeiten im Homeoffice ist als Außendienstmitarbeiter und Trainer weiterhin ungewohnt. Umso mehr freue ich mich über jede Nachricht und jedes Telefonat mit der Außenwelt.

7. April

Stobbe: Viele Bundesligisten sind ins Training in kleinen Gruppen eingestiegen, unter peniblen Hygiene-Vorschriften. Für mich als Trainer im Amateurbereich undenkbar.

8. April

Stobbe: Beim Brötchenholen fällt auf, dass auch Spieler benachbarter Vereine laufen gehen. Auf diesem Weg herzliche Grüße an A/O-Fußballer Marcel Brunsch.

Janik de Brabandt (18) ist seit rund sieben Jahren Turner beim TuS Jork. Sein größter Erfolg war Platz drei bei der Landesmeisterschaft. Mit der Mannschaft turnte der Horneburger in der Landesliga. De Brabandt besucht die zwölfte Klasse des Stader Gymnasiums Athenaeum.

9. April

de Brabandt: Etwas Abwechslung: Ich wechsle die Reifen unseres Autos und flicke einen Fahrradreifen.

Stange: Im Verein machen wir kurze Video-Besprechungen per Skype. Es gibt kurze Updates aus den einzelnen Sparten. Im Handball etwa wird der Spielbetrieb in dieser Saison nicht mehr fortgeführt. Die Entscheidung im Fußball steht noch aus.

10. April

Stobbe: Karfreitag. Ein lockerer Dauerlauf. Fernsehen schauen auf dem Sofa.

11. April

Stobbe: Ich bin fix und fertig nach getaner Arbeit im Garten. Viele Dinge sind mir nicht so leicht von der Hand gegangen wie den vielen Menschen, die die Sportplätze pflegen. Ihr macht einen tollen Job!

12. April

Stobbe: Ostersonntag. Nachholspieltag – eigentlich. Osterfeuer – eigentlich. Die Krise verlangt viel Verzicht.

13. April

Stobbe: Ich übermittle neue Vorgaben an meine Spieler, individuelle Steigerungen. Das muss sein, um bei einer Fortsetzung der Saison mit einer guten konditionellen Basis an den Start zu gehen.

14. April

Stobbe: Corona-Lockerungen sind das Thema dieser Tage. Einen Trainings- und Spielbetrieb auf Sparflamme kann ich mir in unseren Klassen erstmal nicht vorstellen. Ich habe keine Lust auf halbe Sachen.

Die Bundesregierung gibt bekannt, die Kontaktbeschränkungen bleiben vorerst bis Anfang Mai bestehen.

15. April

Stobbe: Keine Ausnahmen für Gaststätten, Schulen, Kitas – und den Fußball. Es gibt Wichtigeres.

16. April

de Brabandt: Seit heute weiß ich, dass ich am 11. Mai wieder zur Schule muss. Wann wir in die Halle dürfen, bleibt leider unklar. Ob das diesen Sommer überhaupt was wird? Doch es gibt auch Erfolge: Meine Kondition wird besser, das Krafttraining fällt immer leichter und ich schaffe einen von drei Spagaten.

17. April

Stobbe: Meine Spieler kommen auf Ideen, die ich vor Corona nicht für möglich gehalten habe: Es wurde zum Absolvieren eines Halbmarathons aufgerufen. Sechs Spieler haben das gemacht mit tollen Zeiten.

Stange: So langsam gewöhne ich mich an die entspannte Lage in der Vereinswelt, was den administrativen Bereich angeht. Hallen und Sportplätze bleiben geschlossen. Wie es bei unseren Ballsportarten weitergeht, ist schwer zu sagen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob wir nach den Sommerferien in den normalen Trainingsbetrieb gehen können. Abwarten.

Die Tagebuch-Schreiber bemerken, die Luft sei allmählich raus. Viel Alltägliches wiederholt sich. Am 19. April, nach einem Monat, soll Schluss sein.

18. April

Stobbe: Heute ist es turbulent. Der Fußballverband friert die Saison ein, kein Amateurfußball bis September, heißt es. Mein Handy steht nicht still. Unsere Neuzugänge melden sich. Was ist mit der Wechselfrist? Wann steigen wir ein in die Vorbereitung? Gibt es Vorbereitungsspiele? Ich habe keine Antworten. Abwarten.

19. April

Stobbe: Sonntag. Den Halbmarathon schaffe ich nicht ganz, bei Kilometer 20,24 bleibt meine Uhr stehen. Ich fühle mich gut. Das Telefon steht auch nicht still. Es geht um die Saison. Ich bin für einen Abbruch.Quelle: Stader Tageblatt, 26.04.2020, Tim Scholz